Matratzen-Kunst

Matratzeninstallation "Pflanzen-Cafe", Rückseite Matratze 23/24, Sootbörn, Hamburg, 2008/2009

Ständige Betten - Zeichnungen von Irmgard Gottschlich
Text von Petra Jäger, Kulturmanagerin

Irmgard Gottschlich zeichnet auf Papier, auf Alltagsgegenständen wie Betten, Tische oder Stühle,  mit Farb –und Bleistift . Klassisch zurückhaltend scheinen ihre Zeichnungen auf den ersten Blick . Selten verwendet die Künstlerin Farbe, wenn dann Blau und Rot vorwiegend. Der zweite Blick bleibt unweigerlich haften. Zuviel strömt am Anfang auf den Betrachter ein. Es sind Liebesszenen,  Fabeltiere, Fragmente aus Mythen, Riten oder Dinge aus dem Alltäglichen, sowie Tiermotive und Naturelemente zu sehen.Alles ist miteinander verwoben –untrennbar voneinander, aber dennoch zusammenhanglos dargestellt. Als Betrachter sucht man nach einem Leitfaden, der die einzelnen Fragmente zu einem Ganzen zusammenführt. Das Scheitern ist vorprogrammiert. Die Künstlerin zeichnet ohne ein festes Konzept oder Vorlagen – frei und intuitiv. Sie zeichnet aber nicht aus dem sogenannten Bauch heraus, wie es den Frauen gerne zugeschrieben wird, dafür sind die Zeichnungen zu sehr bestückt mit Intellekt, Wissen und Lebenserfahrungen. Irmgard Gottschlichs Zeichnungen sind ein Zwischen von Traum, Fantasie und Wirklichkeit, von Erlebtem und Riten und Mythen, von Fiktion und Realität oder Alltäglichem und Irrationalem.  Der Intellekt des Betrachters verlangt hingegen nach Struktur und möchte ein- u. zuordnen, Querverbindungen schaffen. Schnell stellt er fest,  daß diese Methode für Gottschlichs Zeichnungen nicht greifen . Er muß sich einlassen. Konzentriert er sich zunächst auf die Motive Frau und Wolf,  so können Zusammenhänge herausgehoben werden. Die Darstellungen von Frau im natürlichen Sinne und der wilde Wolf haben vieles miteinander gemeinsam: die Akkuratheit ihres instinktiven Feingefühls, eine Vorliebe für alles Spielerische und eine schier unverrückbare Loyalität.  Beide Gattungen sind von Natur aus beziehungsorientiert, sie schnüffeln gern neugierig herum, sie sind wißbegierig, spitzfindig, zäh, anpassungsfähig, standhaft und in Krisensituationen beweisen beide todesmutigen Siegeswillen. Sowohl die natürliche Frau wie auch der wilde Wolf werden seit langem auf bemerkenswert ähnliche Weise von den moralpredigenden Weltverbesserern verleumdet und ausgemerzt. Es ist deshalb kein Zufall ,daß wildwuchernde Naturgebiete mit der gleichen Geschwindigkeit schwinden, wie die Erinnerung an unser innewohnendes Wildwesen nachläßt. Das Bedrohliche und Riskante,  von dem der Mensch bei einer Begegnung mit dem wilden Tier oder der wilden Natur normalerweise ausgeht, löst die Künstlerin in ihren Zeichnungen völlig auf. Die Natur- und Tiermotive können als Sinneswerkzeuge des Menschen für die ursprüngliche Qualität, die es zurückzugewinnen gilt , verstanden werden. So könnte es sein , daß der Wolf und andere Tiermotive für die verloren gegangenen Urinstinkte der natürlichen Frau stehen. Dabei will bedacht sein, daß die Zeichnungen weder wörtlich noch abbildlich zu verstehen sind. Die Künstlerin beschreibt einen eigenen Zustand,  der zwischen diesen Polen liegt.  Es ist ein vollkommenes Zusammenspiel mit allen Elementen.
In manchen Zeichnungen sind sexuelle Begegnungen oder fantasievoll ausgeschmückte Geschlechtsorgane zu sehen.Von unserer gesellschaftlichen Betrachtungsweise ausgehend werden sie fälschlicherweise als pornografisch beschrieben. Unsere westliche Gesellschaft verbindet damit ein dreckiges oder obszönes Wort, es ist ausschließlich mit negativen Assoziationen belegt.
In der Zeit der kultischen Verehrung von Fruchtbarkeitsgöttinen und anderen weiblichen Gottgestalten gab es keinen Aspekt der Sexualität, der nicht als heilig galt. Was manche heute für vulgär, obszön und primitiv halten, galt als naturgegebener Bestandteil eines grundsätzlich göttlichen Ganzen . Mit dem gleichen unschuldigen Humor befreit sich die Künstlerin von den gesellschaftlichen Normen, sowie von der durch Religion/Kirche

"HeilkunstRaum", Kabinett der Künste -Romantik 2.0", Magdeburg, 2012

auferlegten Zwängen, die immer noch für das 21.Jh.gelten. Die Zeichnungen leben von übergängigem Wechsel von faktischen und symbolischen Elementen. Willkürlich fließt alles zusammen. Aus unzusammenhängenden Bild – und Gestaltungselementen entsteht ein Lebens- Happening aus Realität,  Traum und Wunsch. So erzählen die Zeichnungen von einer märchenhaften Zeit der Anfänge, und sie erzählen von Einbrüchen des Übernatürlichen in die Welt, die sie so gemacht haben,  wie sie heute ist.  Und immer wieder erscheint die Frau in paradiesischen Zuständen.
Der Mythos an sich, so schreibt Herr Eliades im Jahr 1963, ist eine heilige und daher wahre Geschichte. Er bezieht sich stets auf Realitäten, leitet sie von ihnen ab, bewahrt sie auf. Der Mythos ist die Grundlage aller Riten, die die profane Zeit aufheben und die mythische Zeit rekonstruieren. Heute sind immer noch der Wolf und die selbstbestimmte Frau mit den Atributen bösartig, unersättlich und gefährlich belegt,  in der heiligen Geschichte gleichen sie oftmals einer Gottheit. Der Mythos propagiert die Rückkehr zur Vollkommenheit und der Ursprünge, und zwar aus Kritik an den geschichtlichen Entartungen. Die Künstlerin Irmgard Gottschlich bewahrt die Quelle der Inspiration vor den durch die Industriealisierung, Technisierung und den Konsum bedingten Austrocknungen, indem sie wieder an die ursprünglichen Visionen anknüpft, die eine Synthese sinnlicher Wahrnehmung und geistiger Repräsentation bedeutet.

PolsterPoller, Hafensafari, Harburger-Hafen, 2006

"Bett 2" - "Bett 3", Farbstift, Leinen, 195x80cm, 2004/2005

"Pflanzenbett 2" - "Pflanzenbett 1", Acryl auf Matratze, 195x90cm, 2006