Zeichnung auf Tischdecken

TischChaos – ChaosTisch“

von Sigrid Puntigam
 

„Die Freiheit wird einem nicht gegeben, man muß sie nehmen.“1 Diese Feststellung Meret Oppenheims in ihrer Baseler Rede 1975 gilt für Künstlerinnen nach wie vor und Irmgard Gottschlich nimmt sich die Freiheit.
Es geht schon ganz schön chaotisch zu in dem „Kunst-Haushalt“ der Irmgard Gottschlich, der in der Ausstellung „TischChaos – ChaosTisch“ mit Zeichnungen, Objekten und Installationen präsentiert wird. Da gibt es ein Ensemble aus Tisch, Stühlen mit Hussen sowie Betten , auf denen man nicht essen, sitzen und liegen kann, weil sie schon be-deckt, be-setzt, be- legt sind mit lauter überbordenden Bildgeschichten. Auf einem Stuhl sitzt ein Pflanzenradio, die Betten oder Matratzen hängen an der Wand oder baumeln von der Decke, vom Tischtuch springen einen Wölfe an, lächeln verführerisch Vogelfrauen. Wahrlich ein „TischChaos – ChaosTisch“.
Tisch, Stuhl und Bett, Gegenstände aus dem häuslichen Umfeld – hier entfunktionalisiert – sind eng mit der Sozialisationsgeschichte der Frau und ihren Tätigkeitsfeldern verbunden.
Das Bett2, hier ein Klappbett, spielt in der Kunst Irmgard Gottschlichs eine zentrale Rolle. Es ist wie sooft bei Frauen der einzige Rückzugsort, der Ort der Träume, der Lust, der Inspiration und Konzentration. Es wird zur Metapher für das Leben, beinhaltet Anfang und Ende, Eros und Thanatos. In diesem findet die Künstlerin in der Sphäre zwischen Traum und Wachen den kreativen Moment für ihre assoziative, intuitive Arbeitsweise. Sie stellt deshalb das Bett radikal und provokativ in den Mittelpunkt ihrer Arbeit, der Ort der Intuition wird Thema, Produktionsort, Produktions- und Projektionsfläche. Konsequenterweise ist für sie deshalb das Bett nicht nur der Ort, in dem die Vorstellungen auftauchen, sondern auf den sie sie konsequenterweise wieder verweist.
Nach Jahren des intensiven Zeichnens kleinformatiger Arbeiten auf Papier zeigte sie zuerst in einer Installation ein mit Zeichnungen be-legtes Klappbett. In einem Verdichtungsprozess mutiert das Bett vom Träger der Zeichnungen selbst zum Objekt mit Laken , ehe es dann von der Horizontalen in die Vertikale kippt, an der Wand hängt. Sie nutzt schließlich in einem weiteren radikalen Schritt – informell – nur noch die Matratze direkt, reduziertals Objekt und als Arbeitsfläche. Das Laken auf dem Klappbett dient als großformatige, direkt mit magischen Geschichten bezeichnete Bildleinwand, besitzt jedoch im Gegensatz zu dieser etwas Ephemeres, es könnte abgezogen, gewaschen werden und entspricht wie das Klappbett selbst mit dieser Vorläufigkeit der Flüchtigkeit des Traumes. Ebenso deutet das Bett darauf hin, dass sie nicht verortet ist, sich immer in Bewegung und auf dem Weg befindet.
Das Laken ist wie eine Haut, eine Schnittstelle zwischen Innen und Außen. Es kann verhüllen, verdecken, enthüllen, Spuren tragen von Sexualität, Gewalt und Tod, auf ihm lagern sich Schichten, Erlebnisse und Begegnungen ab.

Ein munteres Treiben spielt sich auf den Laken und den zahlreich zu sehenden Zeichnungen ab,“…. eine reiche, phantasievolle Bildwelt wird zur Entdeckung freigegeben. Schemenhaft tauchen Gestalten aus dem Dunkel auf, andere verblassen, alles vermischt und verwandelt sich, Tiere, Menschen, Pflanzen und Technik. Es herrscht in diesem Bildkosmos eine Art paradiesischer Urzustand, in dem Wildes und Dämonisches im Einklang leben, in dem ein Wechsel von der einen in die andere Natur möglich ist und noch keine Entfremdung existiert. Dieser ganzheitliche Anspruch, die Natursehnsucht birgt in sich ein animistisches Denken, eine Naturphilosophie, die Künstlerin schafft eine nicht existente Bildwelt. Sie verweist auf ein kollektives Unbewusstes und auf Erinnerungswelten in ihren persönlichen Geschichten, auf eine Welt, die es vielleicht einmal gegeben hat, die sie sich wünscht, wenn das Wünschen noch helfen würde. Man taucht ein in eine geheimnisvolle, rätselhafte, komplexe Bildwelt. Chiffren und symbolhafte Gestalten aus Mythen, Märchen, Träumen, fremden Kulturen, Zeiten und Matriarchaten bevölkern die irrealen Szenerien. Groteske, abstruse, märchenhafte Figuren erinnern manchmal an Pieter Breughel oder Hieronymus Bosch.. Mythische und mystische Figuren, Mischwesen , die sich verwandeln und gleichzeitig in allen Räumen bewegen in einer magischen, phantastischen Welt mit märchenhaftem Charakter.
Die erotischen Darstellungen3 fallen massiv und offensiv ins Auge, unverstellt, schamlos, hemmungslos, ungeniert und ungebrochen, ja fast obsessiv. Der Mut zu dieser Offenheit führt immer noch– trotz aller emanzipatorischer Bewegungen – zu Häme, zu Anwürfen, ja zu einer Pathologisierung. Ihr Thema jedoch ist nicht die unzensierte Sexualität, sondern die Mannigfaltigkeit einer individuellen, subtilen Erotik mit den Überlagerungen von Wünschen und Träumen aus anderen Welten. Der übliche Umgang mit Sexualität wird in Frage gestellt und als Teil eines komplexen erotischen Kontextes dargestellt. Sie versteht den Körper, im Sinne eines ganzheitlichen Weltbildes, als Ausdruck von psychischen, physischen und biologischen Energien. Sie stellt die Sexualität als Bedürfnis nicht im Sinne Freuds, nicht als emanzipatorischen Akt, sondern einfach als Teil der menschlichen Natur, als Macht der Frauen und deren Zugang zur Natur dar4, Natur als Ausdruck weiblicher Stärke und Quelle für die kreative Kraft. Sie zeigt mythisierte Frauenbilder wie die Frau als Göttin, Priesterin, Zauberin, Hexe, Sphinx, sie feiert die Macht der Frau und ihren Zugang zur Natur, zur matriarchalische Tradition der Mutter- Gottheit, Naturkräfte und weibliche Energien, die verloren gegangen und nicht mehr präsent sind, versucht sie wieder zu entdecken.5
Die Zeichnungen aus der Serie „Pflanzen-Café“6, Entwurfsskizzen, entstanden 2007 anlässlich eines Projektes für die internationale Gartenschau in Hamburg 2013. Der Pflanzendialog bestimmt die Dialogaufnahme mit der Natur im urbanen Raum. Auch in diesen Arbeiten artikuliert die Künstlerin die Sehnsucht, der Natur wieder näher zu kommen und thematisiert das Spannungsfeld Natur und Zivilisation, Natur und Kultur, Mensch, Pflanzen und Tierwelt gelten ihr als gleichwertig.
Den Bildraum prägt nicht die Zentralperspektive, sondern er ist ein offener, zeitloser Raum ohne Bildlogik, -struktur und Ordnung, er lässt den assoziativen Geschichten freien Lauf. Die Figuren bewegen sich anarchisch
 

 wie in einem Schwebezustand im Raum, der sich keiner Gesetzmäßigkeit unterwirft und alle Möglichkeiten zulässt, was der Künstlerin Gestaltungsfreiheit für ihre magische Bilderwelt gibt. Die unterschiedlichen Größen, die freien Kombinationen der Figuren, deren steter Wandel, die Vergrößerungen und Verkleinerungen erinnern an die Merkmale der Märchenwelt, wo alles erlaubt und möglich ist.
Die Zeichnungen bilden den Hauptanteil der Arbeiten Irmgard Gottschlichs, das Medium Zeichnung ist für sie das kongeniale künstlerische Ausdrucksmittel. „Die Zeichnung ist der Idee am nächsten“, konstatierte Maria Lassnig einmal treffend, „denn sie erlaubt die nahezu unmittelbare, jedenfalls blitzschnelle Verbindung von Hirn und Hand.“7 Irmgard Gottschlich nutzt diese emotionale, schnelle, direkte Technik für die Umsetzung ihrer magischen Traumgeschichten und Vorstellungen. Ähnlich der „écriture automatique“ der Surrealisten transportieren die Zeichnungen ihren assoziativen Erzählfluss, die Transparenz der Zeichnung entspricht den flüchtigen, momenthaften Traumgeschichten. Die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten dieses Mediums nutzt sie und zeichnet mit Bleistift, Buntstift, Filzstift oder dem Wachsmalstift ihre malerisch anmutenden Bildgeschichten.
Die Arbeiten steigern sich nicht nur im Format, sondern auch die Farbpalette erweitert sich, nimmt an Intensität zu. Von anfänglich monochromer, fast grisailleartiger Farbigkeit zum nächtlichen, trancehaften Blau, das nicht nur für die Traumwelt und den geistigen Raum, die Transzendenz, das Element der Luft und die Imagination, sondern gerade auch im Gegensatz zum aggressiven spannungsgeladenen Rot steht. In ihren neueren Arbeiten schließlich experimentiert die Künstlerin mit anderen Techniken, entdeckt die Malerei, bunt und frei charakterisieren die letzten Arbeiten das Lebensgefühl der Künstlerin, in dem sie angekommen ist.
Irmgard Gottschlich schafft in ihrem phantasievollen Bildkosmos eine Vision und Botschaft, einen Gegenentwurf für unsere heutige Welt: ein lebenswertes, achtungsvolles Miteinander, denn so Meret Oppenheim: „Es sind die Künstler, die träumen für die Gesellschaft“ 8

1  Meret Oppenheim – Retrospektive. „mit ganz enorm wenig viel.“ Ausstellungskatalog Kunstmuseum Bern 2006, S. 9.
Bice Curiger: Meret Oppenheim – Spuren durchstandener Freiheit. Zürich 1982, S. 130f.
2  „Ständige Betten“. Bildergeschichten – Irmgard Gottschlich. Ausstellungskatalog Marstall Schloß Ahrensburg 2005.
3  Rotkäppchen und seine Brüder – Irmgard Gottschlich. Ausstellungskatalog Einstellungsraum Hamburg 2003.
4  Whitney Chatwick: Women artists and the Surrealist Movement. London 1985, S. 79. Ausst.Kat. „Angels of Anarchy: Women Artists and Surrealism“. Manchester 2009.
5  Silvia Eiblmayr: Der weibliche Körper in der Kunst des 20.Jahrhunderts. Berlin 1993, S. 151-160.
6  Ausstellungskatalog „Pflanzendialoge 2007, Planungsbüro-Pflanzendialoge“. Künstlergruppe Flanzer (Hrsg.), Kunsthaus Hamburg 2007, S. 24-27.
7  Maria Lassnig – Im Möglichkeitsspiegel. Aquarelle und Zeichnungen von1947 bis heute. Ausstellungskatalog Museum Ludwig Köln 2009, S. 16.
8  Meret Oppenheim – Retrospektive. „mit ganz enorm wenig viel.“ Ausstellungskatalog Kunstmuseum Bern 2006

Text aus dem Katalog "TischChaos - ChaosTisch", Trittau, 2010

 

s.auch www.tischdecken-kunst.de